Ernüchterung

Obwohl nach 1945 mehrere Wissenschaftler versuchten, sich selbst eine Widerstandsbiographie zuzuschreiben, sind diese Versuche als fragwürdig einzustufen.

Der Chemiker Gerhart Jander zum Beispiel, NSDAP-Mitglied seit 1925, nahm eine exponierte Stellung im NS-Wissenschaftsbetrieb ein und war an militärischen Forschungen beteiligt. Es steht fest, dass er 1944 aus der NSDAP austrat. Nach 1945 hat ihm ein Agent des Secret Intelligence Service (SIS) – Paul Rosebaud – eine „antifaschistische Haltung“ bescheinigt. Da die betreffende Akte im britischen Nationalarchiv noch immer gesperrt ist, bleibt unklar, ob Jander diesen Agenten bewusst unterstützte. Rosebaud galt dank seiner perfekten Tarnung als überzeugter „Nazi“, dem im Deutschen Reich alle Türen offenstanden.
Keinen Zweifel gibt es am Widerstandshandeln des Studentenseelsorgers Alfons Maria Wachsmann, der 1943 verhaftet und 1944 hingerichtet wurde. Greifswalder Studenten hatten ihn im Prozess nicht belastet, auch ehemalige Studierende konnten an der „nationalen Haltung“ Wachsmanns nichts aussetzen. Entscheidend für die Todesstrafe waren Ermittlungen der Gestapo, die nachwiesen, dass Wachsmann tatsächlich „Feindsender“ gehört hatte. In seinem Besitz fanden die Polizisten außerdem ein belastendes Tagebuch. Drei Professoren sagten für Wachsmann gut: Die Juristen Erich Molitor und Karl Peters und der Chemiker Gerhart Jander.
Nicht zuletzt wegen dieser Solidaritätsaktion galten die Professoren insgesamt als unsicher, weshalb die Gestapo, ansässig in der Baderstaße 11b, ihre Überwachung der Universität verstärkte.
Für Friktionen sorgte ein Vortrag des Rektors Carl Engel, in dem er neben einem Bedauern über die Zerschlagung der Korporationen die „allgemeine Nivellierung“, die der Nationalsozialismus an den Hochschulen mit sich brachte, ansprach. Schließlich hatte er angemerkt: „Unfreiheit wird immer aus dem Zwang der Verhältnisse geboren. Ich werde immer noch freier sein als mein Henker. Als das deutsche Volk 1918 Revolution machte, hat es sich die modernste, freizügigste und freiheitlichste Verfassung der Welt zu schaffen gesucht, aber wir waren politisch damals für eine solche Verfassung nicht reif, nicht politisch gefestigt genug, um eine solche Verfassung ertragen zu können. Wir müssen durch Unfreiheit gehen, um zur Freiheit zu kommen.“ Nur mit Mühe hat sich Engel aus der Affäre herauswinden und das Lob der Weimarer Verfassung und die Klage über gegenwärtige Unfreiheit herunterspielen können. Ein Ergebnis der Affäre war, dass der Gauleiter nun den NSDAP-Kreisleiter zu seinem besonderen Beauftragten in Universitätsfragen ernannte, der die Überwachung verschärfte.
Nicht nur die Professoren wurden überwacht, sondern auch die Studierenden. Nachweisbar ist der Fall einer Studentin der Volkswirtschaft, an die sich ein „Verehrer“ heranmachte und darauf drängte, der Familie vorgestellt zu werden. Ihr Vater war demokratischer Abgeordneter gewesen und arbeitete nun als Pfarrer in der pommerschen Provinz.
Für Aufsehen in der Stadt und an der Universität sorgte die Verhaftung und Freilassung des Historikers Ulrich Noack nach dem Attentat vom 20. Juli 1944. Noack hatte mit vielen Berliner Akteuren Kontakte gepflegt, war in die eigentlichen Vorgänge aber nicht eingeweiht.
Die Gestapo kam jetzt sogar anlässlich eines Plagiatsfalls in die Theologische Fakultät. Ein dänischer Doktorand denunzierte den Historiker, der den Fall beim Dekan gemeldet hatte. Der habe sich angeblich abfällig über den „Endsieg“ geäußert, was der Historiker, unterstützt von Rektor und Dekan aber entkräften konnte.
Die zahllosen Flüchtlinge aus Ostpreußen und anderen verlorenen Gebieten werden weiter zur Ernüchterung des Lehrkörpers beigetragen haben. Die Parteistrukturen waren jedoch noch so wirksam, dass in den Volkssturm auch Angehörige der Universität einbezogen werden konnten.